Offener Brief an die Delegierten zum Bundesparteitag der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) am 09. Mai 2021
Sehr geehrte Damen und Herren,
auf dem Bundesparteitag am 09. Mai 2021 werden die Delegierten gebeten, über einen Antrag der SPD-Berlin mit dem Titel „Solidarität mit Rojava“ (Antrag 220/II/2019) zu entscheiden.
Wir, die hier in Deutschland lebenden Kurdinnen und Kurden, finden diesen Antrag sehr wichtig und wir möchten Sie bitten, auf dem Bundesparteitag für diesen Antrag zu stimmen. Leider hat sich seit dem Beschluss des Antrags im November 2019 an der Situation in Rojava nichts geändert. Weiterhin betreibt die Türkei einen vollkommen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die in der „Demokratische Föderation Nord- und Ostsyrien – Rojava“ zusammengeschlossenen Autonomiegebiete in Nordsyrien. Das erklärte Ziel der Türkei ist dabei weiterhin die von den kurdischen Selbstverwaltungsorganen geschaffenen an Basisdemokratie, lokaler Selbstbestimmung, politischer und sozialer Gleichstellung von Frauen und Männern sowie interethnischer, interreligiöser und interkultureller Koexistenz orientierten Strukturen zu zerstören.
Wie Sie sich sicherlich erinnern können, waren es eben diese Kurd*innen und die von ihnen aufgebauten Strukturen und Kampfeinheiten, die den Islamischen Staat (IS) bezwungen haben und diesen bis heute mehr oder weniger unbeachtet von der Weltgemeinschaft aus eigener Kraft in Schach halten. Der Kampf gegen den IS hat auf kurdischer Seite 12.000 Opfer gefordert.
Dadurch wurde die Rojava zu einer Insel der Sicherheit für die Menschen aus der gesamten Region. Bis heute sind 25 % der Einwohner Flüchtlinge aus allen Teilen Syriens und dem Irak. Vor allem für die vom IS aus Sengal vertriebenen Eziden ist Rojava der einzige Zufluchtsort, an dem sie sicher vor Übergriffen und Diskriminierung leben können. Auch die Menschen in Europa leben dank dem Einsatz der Kurd*innen wesentlich sicherer, schließlich wurde durch die Zurückdrängung des IS die Gefahr des islamistischen Terrorismus auch in Europa stark minimiert.
Die Angriffe der Türkei und der mit ihr gemeinsam operierenden islamistischen Söldnergruppen richten sich nicht nur gegen das Leben der Menschen in Rojava, sie destabilisieren die gesamte Region und verhindern das friedliche Zusammenleben der Menschen im Nahen Osten. Das türkische Militär und seine zwielichtigen Verbündeten greift gezielt zivile Infrastruktur an, immer wieder werden Zivilist*innen, Bürgerrechtler*innen oder Aktivist*innen der Frauenbewegung gezielt durch Drohnenangriffe getötet. Oftmals werden bei den Angriffen IS Kämpfer aus der Gefangenschaft befreit. Genauso perfide wie der Angriffskrieg ist jedoch das Embargo, welches willkürlich von der Türkei als Druckmittel gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt wird. Davon sind Bedürfnisse des täglichen Lebens ebenso betroffen wie lebensnotwendige Medikamente und Material zur medizinischen Versorgung. So konnten bis heute keine Schutzmasken und Impfungen gegen COVID-19 nach Rojava durchkommen. Auch die Wasserversorgung wird regelmäßig von der Türkei blockiert, eigene, selbst aufgebaute Strukturen zur Wasserversorgung werden gezielt zerstört.
Europa und Deutschland als wichtigster Partner der Türkei darf dem eigenmächtigen, völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der Türkei in Rojava und Südkurdistan/Irak nicht länger schweigend zusehen. Wie auch in dem Antrag formuliert, reichen mahnende Worte und der Verzicht auf einige paar kleinere Waffendeals nicht aus, um einen wirksamen Einfluss auf die Türkei auszuüben.
Die SPD ist Partner in der Regierungskoalition und damit auch verantwortlich für die Außenpolitik Deutschlands. Vor diesem Hintergrund ist die Annahme dieses Antrags durch den Bundesparteitag auch ein deutliches Zeichen an den zuständigen Minister, Außenminister Heiko Maas, der ebenfalls Mitglied Ihrer Partei ist, sich wie in dem Antrag gefordert dafür einzusetzen, „die Handlungsstrategien der deutschen Politik gegenüber der Türkei und dem gesamten Nahen und Mittleren Osten“ grundlegend zu verändern „und an humanitären Idealen orientiert“ neu zu formulieren. Die deutsche Politik darf nicht länger „deutsche und europäische geostrategische Interessen auf Kosten von geflüchteten Menschen“ durchsetzen. Dieser zentralen Forderung des Antrags können wir uns nur anschließen und möchten Sie bitten, dies ebenfalls zu tun und für die Annahme des Antrags in allen Punkten zu stimmen.
In Deutschland leben mehr als eine Millionen Kurdinnen und Kurden, ein großer Teil von ihnen sind deutsche Staatsbürger*innen, wahlberechtigt und verfolgt das politische Geschehen in Deutschland mit großem Interesse. Dabei stellen die Ereignisse in ihrer Heimat und die Rolle der deutschen Politik einen der wichtigsten Punkte auf der politischen Agenda. Die Annahme des Antrags ist dadurch nicht nur ein wichtiger Schritt in Richtung einer Neuausrichtung der deutschen Außenpolitik, sondern auch ein deutliches Signal an die hier lebenden Kurd*innen, dass es die SPD ist, die sich für Frieden und eine nachhaltige Konfliktlösung in ihrer Heimat einsetzt.
Wir bedanken uns im Voraus für Ihre Solidarität und wünschen Ihnen gutes Gelingen für Ihren Bundesparteitag.
Mit freundlichen Grüßen,
Konföderation der Gesellschaften Kurdistans in Deutschland e.V. (Kon-Med)
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